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Die Umweltwirkung von Medizinprodukten

 Medizinprodukte machen mit 24% knapp ein Viertel der Treibhausgasemissionen eines Krankenhauses aus. Was genau hinter dieser Zahl steckt und welcher Bereich ein großes Optimierungspotenzial birgt, schauen wir uns in diesem Artikel an:

Die Grundlage: Nachhaltigkeit im Gesundheitssektor

Der Gesundheitssektor ist ein bedeutender Akteur im Kampf gegen den Klimawandel. Mit einem Anteil von 4,4% an den globalen Treibhausgasemissionen trägt er erheblich zur Umweltbelastung bei [Q1]. 71% dieser Emissionen sind auf die Lieferkette des Gesundheitssektors zurückzuführen [Q1]. Dieser Bereich wird auch als Scope 3 bezeichnet. Hierunter fallen Produktion, Verpackung und Transport von Produkten und Dienstleistungen [Q2]. Diese Zahl gibt uns einen Hinweis darauf, dass hier das größte Optimierungspotenzial liegt. Allerdings ist diese Zahl auch sehr allgemein, da es im Gesundheitssektor viele verschiedene Akteure gibt. Um einen besseren Einblick und konkretere Zahlen sowie Lösungsansätze zu erhalten, betrachten wir im Folgenden die Treibhausgasemissionen eines Akteurs, ein Krankenhaus, genauer.

#Kurzgesagt

Die Klassifizierung der „Scopes“ erfolgt gemäß dem Greenhouse Gas (GHG) Protocol:

  • Scope 1 umfasst direkte Emissionen aus eigenen oder von der Organisation kontrollierten Quellen. Das könnendie Nutzung von Brennstoffen im Heizkessel oder in Krankenhausfahrzeugen sein.
  • Scope 2 bezieht sich auf indirekte Emissionen aus der Erzeugung von eingkaufter Energie, also z.B. bezogenem Strom, Fernwärme oder Dampf.
  • Scope 3 umfasst alle anderen indirekten Emissionen entlang der Lieferkette. Das umfasst denTransport von Gütern, Dienstleistungen, die Entsorgung des Abfalls, und natürlich die Medizinprodukte, Pharmaverpackungen und Laborprodukte, die durch so eine Klinik laufen. Scope 3 ist der größte Anteil der Emissionen – im Krankenhaus wie in fast jedem sonstigen Betrieb, der nicht ein Kraftwerk ist.

Im Detail: So gelingt Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen​

Treibhausgasemissionen eines Krankenhauses

Die Umweltwirkung von Medizinprodukten
Abb.3: Treibhausgasemissionen des Uniklinikum Heidelberg, Krankenhausreport 2024

Das Institute of Global Health und das Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu)  haben im Rahmen des Forschungsprojektes KLiOL (Klimaschutz in Kliniken durch Optimierung der Lieferketten) eine umfangreiche Treibhausgas-Bilanz des Uniklinikum Heidelberg (UKHD) für das Jahr 2019 erstellt. Die Ergebnisse wurden im Krankenhausrepot 2024 veröffentlicht. Wir haben die Zahlen daraus in Abbildung 2 zusammengefasst. 24%, also knapp ein Viertel der gesamten Emissionen, sind Medizinprodukten zuzuschreiben. Was genau steckt dahinter? Als Medizinprodukte gelten Produkte, die einem medizinischen Zweck dienen. Also zum Beispiel Implantate, Katheter, Röntgengeräte, Labordiagnostika, aber auch und sogar  Software. Sie wirken primär physikalisch, im Gegensatz zu Arzneimitteln, die pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch wirken [Q3].

Wie berechnet man solche Zahlen?

Es gibt verschiedene Methoden Treibhausgasemissionen zu messen. In diesem Fall wurde ein hybrider Ansatz gewählt: Ein Teil der Emissionen wurde über einen verbrauchsbasierten Ansatz (z.B. Strom) und ein Teil über einen finanzbasierten Ansatz berechnet. Mit letzterem wurden auch die Emissionen der Medizinprodukte berechnet. Kurzgesagt, basiert er auf der Bewertung der finanziellen Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Beschaffung dieser Produkte entstehen (in €) und wird dann mit einem definierten Emissionsfaktor (in CO2e pro Bezugseinheit) multipliziert [Q4].

Wie das genau funktioniert, haben wir direkt beim Uniklinikum Heidelberg nachgefragt. Claudia Quitmann ist wissenschaftliche Koordinatorin am Uniklinikum Heidelberg für das Projekt „Klimaschutz in Kliniken durch Optimierung der Lieferketten“ und war an der Entwicklung des KliMeG-Rechners maßgeblich beteiligt ebenso wie an der Berechnung der Treibhausgasbilanz des Uniklinikum Heidelberg.

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Der KliMeG-Rechner ist ein kostenfreier THG-Rechner für Krankenhäuser. Entwickelt wurde er vom Heidelberg Institute of Global Health und dem Institut für Energie- und Umweltforschung (ifeu) im Rahmen des KliOL-Projektes, gemeinsam mit dem Institut für Allgemeinmedizin der Universitätsklinik Freiburg.

Um die THG-Emissionen von Krankenhäusern möglichst genau und dennoch mit einem vertretbaren Aufwand zu berechnen, verwendet der Rechner sowohl den sogenannten Top-down- als auch den Bottom-up-Ansatz. Bei dem Top-Down-Ansatz handelt es sich um eine finanz-basierte Berechnungsmethode, dieser wird beispielsweise für die Bilanzierung von Medizinprodukten und Medikamenten im KliMeG-Rechner verwendet. Grundlage bilden die umweltökonomische Gesamtrechnung und die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, sodass Wirtschaftsdaten mit Daten zu THG-Emissionen verknüpft werden.

Die aus den Datensätzen berechneten Emissionsfaktoren geben dann an, wie viel THG-Emissionen pro ausgegebenem Euro für z.B. Medizinprodukte entstehen. Der Emissionsfaktor wird folglich mit den Ausgaben eines Krankenhauses multipliziert.
#Praktisch
Jetzt Treibhausbilanz berechnen:
Die KliMeG (Kompetenzzentrum für klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen) bietet mit dem KliMeG-Rechner eine kostenlose Möglichkeit, die Treibhausgasbilanzierung deiner Gesundheitseinrichtung zu berechnen. Erst kürzlich kam eine neue Version (2.0) des Rechners online: >>hier gehts direkt zu Rechner.

Medizinprodukte nachhaltiger gestalten

Um Krankenhäuser, aber auch ihre gesamte Lieferkette, nachhaltiger zu bewirtschaften gibt es mehrere Ansätze. Allen voran steht natürlich die Prävention und die Vermeidung unnötiger Eingriffe. Doch wie sieht Nachhaltigkeit konkret bei Medizinprodukten aus? Welche Möglichkeiten gibt es die Emissionen in diesem Bereich zu reduzieren?

1. Design for Sustainability

Das Design, vom Aufbau bis hin zur Materialauswahl beeinflussen die Umweltwirkung eines Medizinproduktes. Durch ein entsprechendes Re-Design können Hersteller diese optimieren.  „Design for Sustainability“ ist ein Ansatz, der darauf abzielt, Produkte so zu entwerfen, dass sie umweltfreundlich sind und eine möglichst lange Lebensdauer haben. Im Bereich Medizintechnik zählen für uns da vor allem diese Prinzipien dazu:

  1. Reduktion der Masse: Leichte Produkte verbrauchen weniger Ressourcen in der Herstellung und reduzieren Transportkosten und -emissionen
  2. Materialauswahl: Die Auswahl biobasierter und recyclingfähiger Materialien reduziert den ökologischen Fußabdruck der Produkts.
  3. Einfachheit (Design for Recycling): Eine gewisse Einfachheit im Design und Material (Monomaterialien) gewährleistet, dass ein Produkt am Ende seiner Lebensdauer leicht zerlegt und recycelt werden kann. Wertvolle Materialien bleiben im Kreislauf und Abfall wird reduziert.
  4. Modularität (Design for Reassembly): Produkte werden so gestaltet, dass ihre Komponenten einfach ausgetauscht, repariert oder wiederverwendet werden können.
Aber auch eine Ausrichtung auf Langlebigkeit, das Vermeiden schädlicher Substanzen sowie Energieeffizienz sind je nach Anwendung zu betrachten.
Design for Sustainability

Ein Beispiel für ein erfolgreiches Design for Sustainability im Bereich Medizinprodukte ist das Re-Design eines Trokars von Röchling Medical, die Kolleginnen und Kollegen konnten dessen CO2-Fußabdruck erfolgreich um über die Hälfte reduzieren [Q5]. Bei diesem Re-Design kamen übrigens auch unsere Medical Grade Biokunststoffe zum Einsatz.

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Wir haben bei Röchling Medical ein Best-Practice-Beispiel entwickelt und demonstrieren anhand eines Trokars (eines sterilen Instruments für minimalinvasive Eingriffe), wie die CO2-Bilanz von medizinischen Einwegprodukten verbessert werden kann.

Dafür haben wir mehrere Prinzipien des Design for Sustainability (DfS) in das Re-Design des Medizinprodukts integriert. Beispielsweise konnten wir mithilfe fortschrittlicher Simulationen wie FEM und Strömungsanalysen das Design so optimieren, dass 32 % des Materials eingespart wurden, ohne die Funktionalität oder Stabilität zu beeinflussen. Der optimierte Trokar besteht außerdem aus weniger Komponenten, was die Anzahl der erforderlichen Spritzgussformen verringert und die Prozessschritte bei der Montage erheblich reduziert.

Bei der Materialauswahl wurden umweltfreundlichere Materialien wie Polypropylen (PP) und das biobasierte PLA von BIOVOX verwendet. Durch den Einsatz dieser und weiterer Nachhaltigkeitsprinzipien haben wir einen zukunftsfähigen Trokar entwickelt, der einen über 50 % geringeren CO2-Fußabdruck aufweist als ein konventioneller Trokar.
2. Auswahl nachhaltiger Alternativen

Seitens des Krankenhauses kann die Auswahl nachhaltiger Alternativen die Emissionen aus dem Bereich Medizinprodukte reduzieren. Für manche Medizinprodukte gibt es bereits nachhaltigere Alternativen, die eingesetzt werden können. Zum Beispiel gibt es Hautklammergeräte zur Wundversorgung von verschiedenen Herstellern in unterschiedlich nachhaltigen Ausführungen. Ein Beispiel dafür ist der Skin Stapler von NewGen Surgical mit einem um 50% reduzierten CO2 Fußabdruck [Q6]. Ob Einwegprodukte oder ihre Mehrweg-Alternative umweltfreundliche sind, lässt sich nicht pauschal beantworten. Das hängt immer von der jeweiligen Anwendung und deren Anforderungen ab. Durch eine gezielte Untersuchung von Einweg- und Mehrwegalternativen kann die Frage beantwortet und die Umweltwirkung potenziell reduziert werden. So gibt es zum Beispiel Einweg- und Mehrweg-Endoskope. Je nach Anwendung und Kontaminationsrisiko werden letztere nach Gebrauch wieder aufbereitet.

3. Optimierung der gesamten Lieferkette

Für Hersteller & Einkäufer gilt es sicher zu stellen, dass die gesamte Lieferkette, vom Rohstoffabbau bis zur Herstellung und Lieferung, nachhaltig gestaltet ist. Dies kann durch die Auswahl von Lieferanten bis hin zur Reduzierung von Transportentfernungen erreicht werden. Hier gilt es Potenziale zu finden, über die eine Effizienzsteigerungen und Emissionsreduktionen gelingen.

Kurzgesagt: Hohe Emissionen bedeuten viel Einsparpotenzial

BIOVOX Megaphon

Der Gesundheitssektor steht vor der Herausforderung, seinen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren und gleichzeitig eine hochwertige Gesundheitsversorgung zu gewährleisten. Wie die umfangreiche Untersuchung der Treibhausgasemissionen eines Krankenhauses zeigt, wird ein großer Teil der Emissionen, 24% in diesem Fall, von Medizinprodukten verursacht.

Hersteller von Medizinprodukten tragen also einen erheblichen Anteil zum CO2-Ausstoß bei. Gleichzeitig bergen Sie aber auch ein großes Potenzial. Mögliche Lösungen liegen zum Beispiel im nachhaltigen Design von Medizinprodukten und -verpackungen oder der Wahl von umweltfreundlichen Materialien. Um letzteres kümmern wir uns bei BIOVOX. Mit unseren Medial Grade Biokunststoffen möchten wir Medizintechnikherstellern ein umweltfreundliches, hochwertiges und zukunftsfähiges Material bieten.

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Quellen

Sie wollen sich weiter in die Thematik vertiefen?
Für die Erstellung dieses Blogartikels, haben wir verschiedene Quellen herangezogen. Diese sind im Text an der jeweiligen Stelle markiert [Q…], und hier zu finden:
[Q1] Health Care Without Harm (pdf)
[Q2] Greenhouse Gas Protocol
[Q3] Bundesgesundheitsministerium
[Q4] Krankenhausreport 2024
[Q5] Röchling Medical 
[Q6] NewGen Surgical

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